cornelia mattich
text
Giulia Bernardi, 22.10.2021
Dichte Leere
Die digitalen Medien haben nicht nur unseren Alltag, sondern auch die Fotografie verändert. Während Bilder vor einigen Jahren analog aufgenommen und in gedruckter Form verteilt wurden, zirkulieren sie heute online und werden digital verschickt. Diese Entwicklung hat nicht zuletzt einen Einfluss auf unsere Wahrnehmung. Unsere Aufmerksamkeit ist durch soziale Netzwerke wie Instagram und TikTok knapper und entsprechend wertvoll geworden. Denn der Wert eines Bildes scheint sich anhand der Klicks, Likes und Shares zu messen, die es erhält.
Die künstlerische Praxis von Cornelia Mattich lässt sich als Kommentar auf diese Entwicklung lesen. In ihren Fotografien hält sie jene Facetten des Alltags fest, die in der Hektik oft unbemerkt bleiben. Ihre Aufnahmen zeugen von einer reduzierten, teilweise monochrom gehaltenen Bildsprache, wie etwa in der Serie Wall oder Paper ersichtlich wird. Darin folgt unser Blick den scharfen Linien eines gefalteten Papiers; den Ecken und Kanten einer weissen Wand, die den Bildraum vermessen und über ihn hinausweisen. Was sich jenseits seiner Grenzen ereignet, unterliegt unserer Vorstellungskraft, die Cornelia Mattich in Gang zu setzen vermag. Folglich verdichtet sich die Ruhe ihrer Fotografien mit der Fülle von Gedanken, die sich in unseren Köpfen manifestieren. Die vermeintliche Leere wird zur Projektionsfläche unseres Inneren, das hier aufatmen und sich entfalten kann.
Ähnlich verhält es sich mit ihren Aufnahmen verschiedener Landschaften, die Cornelia Mattich nicht dokumentiert, sondern ihrerseits als Projektionsfläche erkundet. Denn wie wir Natur verstehen und wahrnehmen, ist eng mit uns selbst und den eigenen Vorstellungen verknüpft. Können wir Natur überhaupt objektiv betrachten oder bleibt sie immer Ort unserer Sehnsüchte, persönlicher Gefühle, der Nostalgie vergangener Zeiten? Auch an dieser Stelle lässt sich die Praxis von Cornelia Mattich in einem gesellschaftlichen Diskurs verorten. Bei der Betrachtung ihrer Fotografien drängt sich unweigerlich die Frage auf, ob wir im Zeitalter des Anthropozentrismus noch unschuldig auf die Natur blicken können.
Mit wachen Augen beobachtet Cornelia Mattich ihre Umgebung und lotet das Spannungsfeld zwischen Reduktion und Dichte aus, spielt mit Ausschnitten und Perspektiven. Davon zeugt auch die Serie Fennel Herb, in der sie ein Fenchelkraut so nahe fotografiert hat, dass jegliche Grössenverhältnisse abstrahiert werden; das einst dünne und überschaubare Kraut wird plötzlich zu einem robusten Baum oder einem tropischen Regenwald. Dadurch entsteht eine neue Landschaft, eine Topografie unserer Fantasie. Womöglich finden wir genau in dieser Dichte jene Ruhe, nach der wir uns oft sehnen.
press articles
Maria Vogel: «Werke, die etwas erzählen». Luzerner Zeitung, 15.10.1992
Eva Kramis: «Lauter Künstlichkeit macht die Welt heiter und bunt». LNN, 09.10.1992
Urs Bugmann: «Innehalten zwischen Gedanke und Bild». LNN, 21.12.1993
Ausstellungskatalog: «Punti di vista». Circolo Culturale il Gabbiano, La Spezia, 04.1994
Emanno Krumm, Corriere della sera, 06.1995
Gisela Kuoni: «Ein ungewöhnlicher Kuhreigen in der Galerie Elisabeth Costa». Bündner Zeitung, 19.01.1996
ah. «Kunstgenuss». Engadiner-Post, 04.01.1996
Bettina Secchi-Fluor: «Vachas, vachas, vachas – scuvrir l'attractivited da chosas banalas». 05.01.1996
Hö. «Sprachrohr der Moderne, Eine Ausstellung über die Werkbundsiedlung Baba in Prag». NZZ, 06.1999
Urs Bugmann: «Der Blick in den Garten als Schule des Sehens». Neue Luzerner Zeitung, 30.04.2001
«Vom Garten zum Wald an der Kuh vorbei». Anzeiger vom Rottal, 26.04.2001
Oliver Kielmayer: «Nicht nur sündhaft schöne Blüten». Aargauer Zeitung, 06.05.2003
Videopreis, Aargauer Zeitung, 2003